Alles wird anders.

Wie sieht die neue Arbeitswelt aus?

Gespräch mit der Dresdner Arbeitspsychologin Dr. Ulla Nagel

Mitarbeiter gemeinsam vor Postits

Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Müssen wir uns auch verändern?
Dr. Ulla Nagel: Diese ständige Veränderungsbereitschaft ist heute erforderlich. Lebenslanges Lernen steht auf dem Plan und die Lebenswelt verändert sich dramatisch: Berufe fallen weg und neue entstehen, Firmen gehen pleite und die Mitarbeiter müssen sich auf dem Arbeitsmarkt wieder neu bewerben. Sie müssen umschulen, müssen offen sein für völlig neue Perspektiven.

Müssen wir Arbeit in Zukunft anders definieren?
Dr. Ulla Nagel: Eigenverantwortung und Flexibilität werden in Zukunft immer wichtiger. Ich gebe ein Beispiel: Viele Mitarbeiter ergreifen die Chance, ins Home-Office zu gehen. Sie entscheiden sich damit u.a. für freie Arbeitszeiteinteilung, aber auch für mehr Selbstverantwortung. Sie möchten einerseits flexibler sein, nehmen andererseits hin, dass sich ihr Arbeitstag dadurch ausdehnen kann. Sie müssen sich also gut organisieren. Freiheit ist sexy.

Ist das gut oder schlecht?
Dr. Ulla Nagel: Ich sehe darin Chance und Gefahr. Arbeit darf uns nicht 24 Stunden und 7 Tage lang immer nur im Job gefangen nehmen. Die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitswelt eröffnet uns die Chance, dass Arbeit wieder zu dem wird, was sie eigentlich ist: Lebenselixier und Sinnerfüllung. In einer Arbeit, in der eintönige Routine wegfällt und kreative Anforderungen wachsen, verwirklichen wir uns als Mensch, als Schöpfer, und stiften Nutzen für die Gemeinschaft.

Wo stehen wir im Moment? Wie sieht heute die klassische Arbeit in Firmen und Teams aus?
Dr. Ulla Nagel: Teamarbeit ist ganz wichtig, weil die Prozesse immer komplexer werden. Salopp gesagt, das Wissen, die Informationen, die verarbeitet werden müssen, passen in einen Kopf nicht mehr hinein. Da braucht es viele kluge Köpfe. Nehmen wir einmal die Softwareindustrie. Da werden Programme entwickelt, an der viele Mitarbeiter monatelang tüfteln, in der Hoffnung, dass sie letztendlich fehlerfrei laufen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der entscheidende Erfolgsfaktor für eine solche IT-Firma die Kultur des Teilens ist. Es geht darum, Wissen, Information, Arbeitskraft, aber auch Emotionen zu teilen.

Wie kann man das praktisch umsetzen?
Dr. Ulla Nagel: Vielleicht haben Sie schon etwas von der neuen Projektsteuerungsmethode gehört, dem „agilen Projektmanagement“. Das ist eine Form der Zusammenarbeit, in der bei so genannten täglichen „Stand-ups“ wenigstens für 15 bis 20 min alle Projektmitarbeiter zusammenkommen und eruieren, wo sie heute angekommen sind, welche Aufgaben noch offen sind, wo die Säge klemmt. Es wird geschaut, wer wo helfen kann und festgelegt, welcher gemeinsame Stand bis zum nächsten Tag erreicht werden soll. Prozesssteuerung funktioniert im Prinzip nur noch im Team. Nur so behält jeder den Überblick. Und ganz wichtig: Das Teilen muss durch die Führungskraft vorgelebt werden.

Teilnehmerin Change Management Workshop vor Postits

Das klingt nach Stress, Chaos und Druck für die Mitarbeiter und den Chef…
Dr. Ulla Nagel: Das kann passieren, wenn der Druck steigt. Wenn wir in Stress geraten, dann kommen wir an Grenzen und reagieren emotional. Es kann passieren, dass  in Teams eine Ellenbogenmentalität entsteht. Man schiebt sich wechselseitig den schwarzen Peter zu, nach dem Motto: Ich bin nicht schuld, andere sind schuld. Hier ist Führung gefragt, die dem vorbeugt. Wenn Führung versagt, dann hat es der Teamgeist schwer. Denken Sie einmal daran, wie uns in schwierigeren Zeiten Vertrauen und Unterstützung im Team hilft, den Kopf über Wasser zu halten und an den Erfolg zu glauben.

Teamarbeit ist schwer. Auch Neid kommt schnell auf. Man weiß, dass man fleißig gearbeitet hat, aber nicht, ob der Andere genauso seine Tätigkeit erledigt hat.
Dr. Ulla Nagel: Was Sie da ansprechen, ist in der Tat eine schwierige Sache. Jeder sieht seinen Arbeitsplatz und die vielen Dinge, die den Berg auf seinem Platz ausmachen. Er hat bei Weitem nicht so viel Einblick und nicht so viel Aufmerksamkeit für den Berg des Anderen – auch wenn er das glaubt. Deswegen gilt als psychologisches Gesetz: Mein zu bewältigender Berg wirkt immer größer als der der Anderen. So kann sehr schnell ein Ungerechtigkeitsgefühl aufkommen.

Ist da wieder der Chef gefragt?
Dr. Ulla Nagel: Ja, es ist wiederum eine Aufgabe der Führung, hier für maximale Transparenz zu sorgen. Diese Transparenz beginnt schon bei der Stellenbeschreibung und der Aufgabenzuordnung. Es muss klar sein, bei wem welche Verantwortlichkeiten liegen. Man kann überlegen, Leistung messbarer und damit vergleichbarer zu machen. Aber Vorsicht: Keine zusätzliche Konkurrenz auslösen! Führung ist dann gut, wenn sie vermittelt: Wir haben es gemeinsam geschafft. Es geht nur im „Wir“ und der Einzelne trägt jeweils sein Puzzleteil dazu bei.

Teams können sich gar nicht so lange finden. Was raten Sie?
Dr. Ulla Nagel: Es gibt bereits die kooperative, partnerschaftliche Führung. Der Chef ist jetzt nicht mehr der „Vor-Gesetzte“, der über mir steht und hierarchisch herausragt, der bestimmt, wo es langgeht, sondern er ist mehr ein Koordinator, ein Rahmengeber, ein Ermöglicher, ein Motivierer, der dafür sorgt, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert.

Also müssen sich die Chefs verändern?
Dr. Ulla Nagel: Als Berater versuchen wir, es ihnen so deutlich wie möglich zu machen. Das ist manchmal mühselig, da es nicht jeder Chef glauben will. Aber viele, das kann ich mit Fug und Recht hier sagen, sind da schon sehr weit.

Der Beruf bestimmt bei den meisten Menschen das Leben. Wird das noch intensiver?
Dr. Ulla Nagel: Die Herausforderungen liegen in der Marktgetriebenheit der Unternehmen. Digitalisierung, Vernetzung, Globalisierung – das sind typische Begriffe, die damit verbunden sind. Jeder kennt das, früher hat der Brief 2 bis 3 Tage gebraucht, dann hat man ihn in Ruhe beantwortet. Heute wird sekundenschnell die Antwort auf die E-Mail erwartet. Diese Schlagzahlerhöhung macht den Mitarbeitenden in den Unternehmen natürlich recht viel Druck. Wichtig ist, von Zeit zu Zeit zu prüfen, wie die Einflüsse in unserer Arbeit auf unsere Gesundheit wirken. Wir können die Welt in ihrem Lauf nicht aufhalten. Aber wir können Puffer, sog. Ressourcen, schaffen, die den Marktdruck abfedern: das sind bessere Kommunikation, gegenseitige Unterstützung, effizientere Prozesse und Führungskräfte, die zuhören können.

Früher haben die Menschen viel härter gearbeitet, 16 Stunden-Schichten, körperlich anstrengend… sind die Menschen weniger belastbar? Burnout ist schon ein Modewort…
Dr. Ulla Nagel: Burnout ist nicht vergleichbar mit einer Arbeit, die besonders viele Stunden andauert. Aspekte bei Burnout sind, dass ich in der Arbeit etwas erreichen und voranbringen will, aber es aus bestimmten Gründen einfach nicht umgesetzt bekomme. Mein Motor dreht auf Hochtouren, aber ich bekomme das Drehmoment nicht auf die Straße. Der Motor brennt durch. Menschen, die ausbrennen, haben häufig bestimmte Persönlichkeitszüge. Sie überbewerten die Arbeit. Sie definieren sich über Leistung. Sie dürsten nach Anerkennung von bestimmten Personen.

Ist die Zukunft der Arbeitswelt durch die Digitalisierung, Industrie 4.0, wirklich so düster, wie von Experten prognostiziert?
Dr. Ulla Nagel: Es wird sicher noch lange dauern, bis Roboter den Menschen in seiner Kreativität ersetzen können, wenn das überhaupt je gehen sollte. Wir versuchen, den Roboter immer menschenähnlicher zu machen, ihm z.B. das emotionale Alphabet zu lehren. Fakt ist, dass es in der Industrie 4.0 immer mehr dahin gehen wird, dass sich auch Maschinen wechselseitig reparieren, ihre Software optimieren.

Und dann kommt einem schon hin und wieder mal das Bild aus einem Science-Fiction-Film und man fragt sich, wie kann der Mensch, dieses kreative Wesen, sich dabei weiter behaupten? Kann er es überhaupt?
Dr. Ulla Nagel: Ja! Wir Menschen haben nicht nur die Kreativität, wir haben auch die Intuition. Die hat viel mit Kreativität zu tun, aber viel auch mit Gefühl. Wir sprechen in der Psychologie von der Psycho-Logik. Die ist überhaupt nicht so logisch. Menschen entscheiden sich häufig sehr irrational. Man ist immer wieder erstaunt, wie Menschen über diese irrationalen Wege zu schnellen und teilweise sehr ganzheitlichen Lösungen gelangen. Da bleibt der Roboter bis auf weiteres doch eher der Kausal-Logik verhaftet und steht uns als Diener zur Seite. Wir können uns auf die spannenden Anteile unserer Arbeit konzentrieren.

Wie können wir uns wappnen?
Dr. Ulla Nagel: Ich finde, dass wir unser staatliches Schulsystem überprüfen und umstellen müssen. Werker, die heute aus Fertigungs- oder Montageprozessen freigesetzt werden, sind nicht per se in der Lage, komplexe kreative Tätigkeiten zu erfüllen. Hier ist der Roboter tatsächlich Feind. Alternative Schulsysteme leben uns eine passendere Vorbereitung auf die Kreativgesellschaft vor.

 

Quelle: MDR 1 Radio Sachsen „Dienstags direkt“ am 01.11.2016 mit Moderatorin Kathleen Rothe.